Als Secondhand Hundehalter braucht man ein ziemlich dickes Fell
Was ist ein Secondhand-Hund?
Darunter versteht man einen Hund, den man nicht von Welpe an sich zu sich geholt hat.
Secondhand-Hunde haben also schon mindestens einen Vorbesitzer und sind in der Regel mindestens 6 Monate alt oder älter.
6 Monate scheint so eine Art magische Grenze zu sein.
Da sind die meisten Hunde nämlich aus dem (ach so niedlichen) Welpenalter heraus und werden zu Junghunden.
Die Pubertät steht vor der Tür und erste Probleme entstehen, wenn man sich bis jetzt noch nicht vernünftig mit dem Hund beschäftigt hat.
Nicht selten werden solche Hunde zu regelrechten Wanderpokalen, die nach kurzer Zeit immer wieder weitergereicht werden und am Ende schließlich im Tierheim landen.
Vorgeschichten von Secondhand Hunden und ihre Folgen
6 Monate sind genügend Zeit, um schon schlechte Erfahrungen zu machen.
Oft weiß man nicht, was hinter dem Schicksal eines so jungen Hundes steckt und kann es am Verhalten nur grob erahnen.
Manchmal erfährt man einiges aus der Vergangenheit über Umwege und hartnäckige Recherchen.
In den ersten 8 Wochen sind die Welpen noch beim Züchter und werden von einem guten Züchter auf ihr späteres Hundeleben gut vorbereitet.
Wichtig ist die Sozialisierungs und Prägephase, die ungefähr bis zur 12. Lebenswoche geht.
Als zukünftiger Halter sollte man die gute Vorarbeit des Züchters weiterführen, um einen alltagstauglichen Hund zu bekommen.
Was in dieser wichtigen Zeit für den Hund vom Halter nicht beigebracht oder verfehlt wurde, begleitet den Hund sein Leben lang und kann nicht mehr vollständig nachgeholt werden.
Prägephase verpasst und jetzt?
Man muss sich im Klaren sein, dass es unmöglich ist, eine verpasste Prägung im späteren Alter komplett nachzuholen.
Das einzige, was man mit sehr viel Arbeit und Geduld noch erreichen kann, ist vorhandene Probleme, die bei einem schlecht sozialisierten Hund unweigerlich auftreten werden, abzumildern.
Das ist nicht einfach und man muss sich dazu ein sehr dickes Fell zulegen.
Es fängt schon damit an, dass man immer wieder Rückschläge erleidet.
Oft sind es sogar andere Hundehalter, die einem mit Ignoranz und Rücksichtslosigkeit das Leben schwer machen.
Was bedeuten Rückschläge im Training?
Ein Rückschlag im Training mit so einem Hund bedeutet nicht, dass man dann wieder bei null mit dem Training anfängt, sondern eher bei Minus 100.
Mit jedem Rückschlag verliert man so also viele Wochen harte Arbeit in Sekundenbruchteilen.
Im Beitrag über das kleine 1×1 für Hundehalter und was ist ein gelber Hund habe ich darüber auch schon geschrieben.
Unser eigener Alltag mit einem Secondhand-Hund
Wer uns und Eddy näher kennt weiß, was für ein toller und freundlicher Hund Eddy ist.
Wir haben Eddy mit etwas über 6 Monaten aus einer ungünstigen Haltung übernommen.
Er ist ein Belgischer Schäferhund und zählt nach dem FCI Standard also zu den Hüte und Schäferhunden.
Ein Zuchtziel von diesen Hunden ist unter anderem ein feines und schnelles Reagieren.
Das bedeutet leider auch, dass so ein Hund viel einfacher und schneller zu traumatisieren ist wie ein robuster Treibhund.
Die ersten 6 Monate beim alten Besitzer
Der vorherige Halter war ein Herr im ziemlich fortgeschrittenen Alter und komplett mit dem Hund überfordert.
Vom Züchter haben wir erfahren, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass so eine ungeeignete Person den Hund überhaupt bekommen hat.
Das möchte ich hier aber nicht weiter ausführen.
Zum Glück hat der Sohn des ehemaligen Besitzers die Notbremse gezogen und dafür gesorgt, dass der Hund vermittelt wird.
Nach einem längeren Telefonat haben wir uns auf den Weg gemacht, um uns den Hund, der damals noch einen anderen Namen hatte anzuschauen.
Wir wurden freundlich aber total übertrieben von ihm begrüßt.
Jeder nicht Malinois Kenner hätte hier vermutlich schon den Rückzug angetreten.
Genie und Wahnsinn sind bei diesen Hunden dicht zusammen.
Wir konnten Eddy ohne Weiteres anleinen und mit ihm die Wohnung verlassen.
Er hat keine Sekunde nach seinem alten Besitzer geschaut oder gezögert, mit uns zu kommen.
Draußen haben wir sofort gemerkt, dass es für ihn noch viel zu entdecken und lernen gibt.
Auch ein paar Defizite konnte man recht schnell erkennen.
Das auffälligste war die Angst vor vorbeifahrenden Autos.
Vom Wesen her ein absolut freundlicher Hund, leider mit einigen Ängsten, die bei richtigem Umgang nicht aufgetreten wären.
Mit etwas Recherche haben wir dann einiges zur Vergangenheit unseres Hundes herausbekommen.
Er ist wohl die ganze Zeit nur auf dem Balkon im Erdgeschoss an einer Straßenkreuzung gehalten worden.
Als er noch klein war, diente er als Kinderspielzeug.
Als er dann größer wurde, war er wohl nur noch auf dem Balkon angebunden und wurde oft von Kindern geärgert.
Gassi gehen kannte er wohl überhaupt nicht.
Auch Kommandos waren komplett Fehlanzeige.
Sehr schade, dass so ein toller Hund so einen schlechten Start ins Leben hatte und einiges davon dauerhaft mit sich herumschleppen wird.
Das Leben bei uns
Hundeerfahrung, sogar speziell mit der Rasse Malinois ist bei mir schon eine ganze Weile vorhanden.
Ich wurde aber gewarnt, dass es mit einem „gebrauchtem“ Hund ein schwerer Weg werden könnte.
Ich sagte damals noch ziemlich unbefangen: „Was soll den in den 6 Monaten schon passiert sein.“
Heute weiß ich, dass man einen Hund schon mit weniger Zeit „kaputt“ machen kann.
Am ersten Tag war nach der langen Autofahrt erst mal Ruhe angesagt.
In den nächsten Tagen ging es los, das nähere Umfeld erkunden.
Ein Besuch in der Sparkasse mit der Automatiktür, ein Besuch am Bahnhof, Aufzugfahren, Tierarzt, verschiedene Untergründe alles kein Thema.
Hier hat der Züchter eine sehr gute Arbeit geleistet.
Die unheimliche Treppe mit den offenen Stufen bei uns war auch schnell kein Problem mehr.
Die ersten Kommandos hat Eddy in Lichtgeschwindigkeit gelernt. (Das schnelle Lernen ist Fluch und Segen zugleich, denn auch Fehlverknüpfungen sind schnell gelernt)
Autos und Passanten waren jedoch von Anfang an ein Thema für sich.
Autos waren schon auf 20 Meter eine Bedrohung, wo Eddy richtig ausgeflippt ist.
Das haben wir mit extrem viel Zeit und Training auf 3-4 Meter reduzieren können.
Wenn wir ausweichen können, ist es inzwischen möglich auch einmal durch eine Stadt zu gehen.
Begegnungen mit Passanten verlaufen unterschiedlich.
Freundliche Leute, mit denen man ins Gespräch kommt, die ihn auch nicht anstarren oder panisch bei seinem Anblick wegrennen sind kein Thema.
Die Kombination von dicht vorbeifahrenden Autos und anstarrenden, unfreundlichen oder sogar aggressiven Leuten versuche ich, wenn möglich, immer zu vermeiden.
In Reizarmer Umgebung ist Gassigehen sehr entspannt.
Wir machen ständig Umwelttraining in Gebieten, wo etwas mehr los ist.
Da ist es immer abhängig, auf wen man unterwegs trifft.
Wir haben inzwischen einen Blick dafür mit, wem wir uns unterhalten können und mit wem nicht.
Solche Unterhaltungen mit Fremden, positiven Leuten bringen sehr viel für das Training.
Wir haben Eddy jetzt fast 8 Jahre und trainieren ständig mit ihm.
Dabei haben wir schon ziemlich skurrile Situationen erlebt.
Fachliche Unterstützung zum Training haben wir von Profis die Hauptberuflich nichts anderes machen als Gebrauchshunde und Hundeführer auszubilden.
Warum braucht man ein dickes Fell als Halter von einem Secondhand-Hund?
Nicht alle gebrauchten Hunde sind schwierig.
Das ist auch viel von der Art und Rasse abhängig.
Ein Hütehund mit Vorgeschichte ist eine ganz andere Hausnummer als ein Hund, der nicht so überdreht gezüchtet ist.
Mit einem Hund, der nicht allen Erwartungen unserer heutigen Gesellschaft gerecht wird, muss man sich einiges anhören.
Leute, die einen und den Hintergrund, den man hat, nicht einmal ansatzweise kennen, die auch den Hund überhaupt nicht kennen und richtig einschätzen können, drücken einem oft mal ziemlich üble Sprüche rein.
Das finde ich ziemlich intolerant, besonders dann, wenn es von Leuten kommt, die sich wie die Axt im Walde verhalten und meinen sie wären die tollsten.
Hier braucht man ein dickes Fell und am besten gewöhnt man sich an solche Leute zu ignorieren.
Wer mir gegenüber Aggressiv und abwertend auftritt, bekommt von mir keine Aufmerksamkeit. Dafür ist mir meine Zeit zu kostbar.
Ich verbringe meine Zeit lieber mit Leuten, mit denen man sich vernünftig unterhalten kann.
Dabei muss man nicht immer einer Meinung sein.
Man muss aber wenigstens hören, was der andere zu sagen hat und darüber nachdenken.
In unserer Ellbogengesellschaft ist es nicht leicht, sein Leben in Ruhe und Frieden zu führen.
Man trifft immer wieder auf Leute, die meinen, sie sind alleine auf der Welt und ihre Meinung ist die einzig richtige.
Alle anderen sind die bösen oder die blöden.
Das sind alles Dinge, die einem mit einem „immer freu-Hund“ der zu jedem nett ist, erspart bleiben.
Trotz alledem bereue ich nicht, mir einen „gebrauchten“ Hund zugelegt zu haben.
Ich würde trotz aller negativen Erfahrungen, die ich dadurch mir unserer Gesellschaft gemacht habe, diesen Weg immer wieder gehen.
Der treue Blick meines Hundes und seine Aufrichtigkeit sind alle Mühen wert, die einem Begegnen.
Lieber ein durchgeknallter ehrlicher Hund als 10 falsche Freunde.